A. Bruckner: Symphonie Nr. 4

Um die Jahreswende 1873/74 bekommt Bruckner Besuch von seinem ehemaligen Lehrer und lebenslangen Freund Otto Kitzler. Angesichts der fürchterlichen Unordnung, die in seiner Wohnung herrschte, schlug ihm Kitzler vor zu heiraten, um in geordnetere Verhältnisse zu kommen. Beinahe entsetzt soll Bruckner geantwortet haben: „Lieber Freund, ich habe keine Zeit, ich muss meine ‚Vierte‘ schreiben.“

Zu dieser Zeit begann Bruckner mit der Niederschrift seiner vierten Sinfonie, deren Finale er am „22. November 1874 in Wien um halb neun Uhr abends“ vollendete.

Die Schlappe bei der Uraufführung der dritten Sinfonie (16. Dezember 1877) war nicht ohne Einfluss auf Bruckners Schaffen. Er widmete sich den Umarbeitungen der dritten und vierten Sinfonie. Nach eingehendem Studium der ‚Eroica‘ und der ‚Neunten‘ Beethovens bezüglich des Periodenbaus und der Form wird die vierte Sinfonie gründlich umgearbeitet. 1878 ließ er eine zweite Fassung mit neuem Scherzo, 1878/80 eine dritte mit neuem Finale folgen.

Ein Beweis dafür, das auch dieses Werk nicht aufgrund eines Programms geschaffen wurde, ist die Tatsache. dass der Meister die erste Fassung mit „Sinfonie, Es-Dur“ überschrieb; erst nach der ersten Umarbeitung fügte er das Wort „Romantische“ bei.

Die Uraufführung fand am 20. Februar 1881 in einem Konzert zugunsten des neugegründeten ‚Deutschen Schulvereins‘ mit dem Wiener Philharmonischen Orchester unter Hans Richter statt. Sie gestaltete sich zu einem wahren Triumph. Die ‚Wiener Abendpost‘ schrieb damals: „Vier- bis fünfmal musste Bruckner nach jedem [sic!] Satz erscheinen. Mit einem Worte: Bruckner schlug glänzend durch, er gehört seit dem verflossenen Sonntag zu unseren bedeutendsten Tonschöpfern und ist unser künstlerisches Gemeingut geworden.“

Das Werk wurde einem Verleger in Mainz angeboten, aber ohne Erfolg. Im September 1886 schreibt Bruckner an Hermann Levi: „Bei meiner Rückkehr aus Bayreuth erhielt ich zu meinem Schmerze die romantische Sinfonie in Es aus Mainz retour, und zwar ohne jede Motivierung. Darauf verlangte Herr Seidl [der berühmte Wagner-Dirigent Anton Seidl in New York] selbe Partitur und meinte, er würde drüben einen Verleger finden.“

Bevor aber Bruckner die Partitur an Seidl schickt, unterzieht er sie einer neuerlichen Durchsicht. Diese Abschrift ist der Brucknerforschung lange Zeit unbekannt geblieben. Sie hat sich in der Musiksammlung der Bibliothek der Columbia University in New York erhalten und ist die alleinige Vorlage für die letzte, endgültige Gestalt, in der Bruckner seine Sinfonie der Nachwelt überliefert und gedruckt wissen wollte.

Ralf Eickhoff