Konzert März 2001

DAS JUGEND-SYMPHONIEORCHESTER MÜNCHEN ZU GAST IN HOF

Der Name untertreibt. Jugend-Symphonieorchester München: Keine Teenager, sondern junge Erwachsene — Durchschnittsalter: Anfang zwanzig — musizieren in dem Ensemble, das seine 2002er Tournee jetzt in Hof abschloss; von hier stammen drei Mitglieder des Orchesters, dessen Anspruch weit über den der Laien- und Liebhabermusik hinausgeht. Das Publikum im Festsaal der Freiheitshalle, das mit reichlich Beifall dankte, erlebte einen veritablen, feinen Konzertabend, durchdrungen von temperamentvollem und ernstem, allemal tief romantischem Ausdruck.

HOF — Nicht Inspiration, sondern ein Brief gab den Anstoß. „Wollen Sie ein Violinkonzert schreiben?», fragte der Berliner Musikverlag Simrock bei Antonin Dvorák schriftlich an und präzisierte: „Recht originell, kantilenenreich und für gute Geiger.» Das Werk, das daraufhin entstand, eignet sich bestens für Julia-Maria Kretz. Eine gute Geigerin darf sich die erst 22-jährige Solistin des Abends schon heute nennen; und gerade die Kantilene, die Gesangslinie, liegt ihrem Spielstil. Bei aller technischen Könnerschaft räumt sie der Melodie Vorrang ein. In empfindsamen Bögen, weit und langlebig sich spannend, legt sie die Künstlerin aus — ganz nach dem Herzen des Komponisten. Tatsächlich steht Julia-Maria Kretz, als Ururenkelin, in entfernter, wiewohl direkter Verwandtschaft zu ihm. Sympathisch, dass sie dem Werk des prominenten Ahnen dennoch ohne plumpe Vertraulichkeit begegnet, sondern seriös und ergeben. Zu den so genannten symphonischen Konzerten gehört Dvoráks Violinkonzert — dennoch spreizt Alejandro Vila, der seit 2000 am Pult des Orchesters steht, den Klang nicht allzu breit auf. Gut so: Noch verfügt die Solistin nicht über den ganz großen Ton, dafür über einen, der sich in seinen Gefühlsäußerungen bereits umfassend entwickelt hat. Mit ihm kann sie sich einpassen in den Gesamtklang und aus ihm heraustreten mit den weitschweifigen Linien ihres Geigen-Melos. Aus dem tatkräftigen Kopfsatz leitet sie fast unmerklich ins unmittelbar anschließende Adagio über, in dem sie träumerische Tiefen auskundschaftet; und kommt im Allegro-Finale geradezu tänzerisch in Schwung, um bei Furiant- und Dumka-Rhythmen ihre Leichtig- und Geläufigkeit auszuspielen.

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Zum optimistischen Schönheitssinn des Dvorák-Konzerts bezieht Johannes Brahms’ vierte und letzte Symphonie grüblerische Gegenposition — ein heikler Kontrast, den Alejandro Vila meistert. Zu handwerklicher „Richtigkeit», zu Klangbalance und -Zusammenhang führt sein Dirigat die Musiker; und fordert sie zugleich zur Gedankenkraft und Nuancierung einer gestandenen Interpretation heraus. Die Instrumentalisten — mit den Hofern Florian Glas, der die zweiten Geigen anführt, Reinhard Müller bei den Bratschen und, in den Celli, Paul Kudlich von der sponsernden Raiffeisenbank-, sie sind längst über die Haus- und Schulmusik hinaus- und zum einvernehmlich agierenden Klangkörper verwachsen. Vereinzelte Störungen in der Tongebung schaden der deutenden Expression nicht, die spürbar vom Interesse und dem Ehrgeiz jedes Einzelnen herrührt. So lässt das Orchester mit eindringlicher Strenge den Zug hart nackiger Skepsis laut werden, der die Symphonie durchtönt: die Poesie eines nüchternen Ernstes. Dicht, doch durchhörbar in allen Verläufen ergründen sie die verwickelten Motivgeflechte der vier Teile, von denen imponierenderweise die schwierigsten am ehrgeizigsten gelingen: die profunden Überlegungen des zweiten Satzes und im vierten die dreißig Variationen der riesigen Passacaglia. In ihnen vollführt das Ensemble ein zerklüftetes Drama widerstreitender Gemütslagen zwischen Fatalismus und Hoffnungsschimmer, Aufbegehren und unwiderruflicher Resignation.

Brahms’ Freundin und Schülerin Elisabeth von Herzogenberg meinte, zur Ehrfurcht gebietenden Vierten fänden nur Fachleute Zugang: „Eine kleine Welt für die Klugen und Wissenden.» Zu denen dürfen die jungen Symphoniker aus München sich wohl rechnen.

VON MICHAEL THUMSER

Solistin JULIA-MARIA KRETZ, flankiert von zwei jungen Orchester-Mitgliedern aus Hof: FLORIAN GLAS (links) und PAUL KUDLICH FOTOS: Flo-Sz