Konzert Gars 2006

Jugendsymphonieorchester München gastiert im Garser Gymnasium

Klassische, orchestrale Musik findet heutzutage hauptsächlich in gediegenem, festlichem Ambiente, in Konzertsälen und Kirchen statt — und läuft damit an den meisten Schülern und Jugendlichen glatt vorbei. Doch wenn die Schüler nicht zur Musik kommen, muss man die Musik zu den Schülern bringen: Das Jugendsymphonie Orchester München, unter Leitung von Alejandro Vila, gastierte deshalb nicht etwa im Herkulessaal — sondern in der Turnhalle des Gymnasiums Gars am Inn. Mit Beethovens «Coriolan»-Ouvertüre begannen Vila und das Orchester, in Sachen Alter und Erscheinung so bunt gemischt wie sein Publikum, den Abend mit dem aufbrausenden impulsiven Psychogramm des Coriolanus — eines römischen Feldherrn, der seine eigene Stadt belagern ließ und schlussendlich Selbstmord beging. Das Orchester mit beeindruckender Souveränität, obgleich die herausfahrenden, bösartigen Tuttischläge der Einleitung zu zaghaft, zu sehr um Sicherheit bemüht auftraten. Aber der zarte, dringliche Streicherklang in der Kantilene und die jederzeit spürbare Neugier und Entschlossenheit der Musiker machte jede Schüchternheit wett.

Wolfgang Amadeus Mozarts 39. Symphonie beschloss, im Jubiläumsjahr beinahe obligatorisch, den Abend. Auch hier gerierte sich das Orchester äußerst dezent, zurückhaltend, beinahe verhalten — doch ganz im Gegensatz zur ausschweifenden Beethoven-Ouvertüre und ihrem leidenschaftlichen, jähzornigen Gestus ist diese leichte Befangenheit Mozart absolut zuträglich. Das verspielte, sanft ironische Element kam gänzlich zum Tragen, Vilas Interpretation war äußerst transparent und luzid.

Den Höhepunkt des Abends stellte jedoch, trotz allem, Felix Mendelssohns Violinkonzert in e-Moll dar: Der 19-jährige Marcus Tanneberger lieferte eine furiose, ehrfurchtgebietende Interpretation des Violinstandards der Romantik. Vom ersten Ton des berühmten Themas an, führte Tanneberger die Zuhörer mit traumwandlerischer Sicherheit durch die drei Sätze: Mit ehrlicher und doch vollkommen kontrollierter Leidenschaft fegte der mehrfach preisgekrönte, gefragte Geiger durch die rasanten Passagen, befreit das Konzert vom Staub der Jahre und gewann dem Klassiker neue, dynamische Facetten ab. Tannebergers Mendelssohn ist kein Relikt aus einer vergangenen Zeit, sondern mitreißend, frei von Patina und lebendig. Dem Publikum stockte während der Kadenz ob der technischen Brillianz, ja der schieren Virtuosität der Atem, die rasend schnellen Sechzehntelfiguren wirkten mühelos und unbeschwert. Tannebergers klarer und doch kraftvoll, zupackender Ton und seine perfekte Intonation verloren sich keinen Moment. Charisma und Sinn für Inszenierung beflügelten seine Leistung noch zusätzlich, während das Orchester den Solisten ideal unterstützte — an den richtigen Stellen zupackend und «konzertant», in den solistischen Momenten angemessen tragend. Marcus Tanneberger, Alejandro Vila und das Jugendsymphonieorchester München ernteten den ehrlichen, euphorischen Applaus der 400 Schüler und Eltern. Erst das Fußgetrampel und Gejohle riefen einem wieder in Erinnerung, dass man tatsächlich nicht im Herkulessaal saß.

ALJOSCHA LEONHARDT